Machen Belohnungen an bei der Arbeit?

Stellen Sie sich vor: Sie erledigen Ihre Arbeit, sind engagiert, fleißig, geben Ihr Bestes. Sie kennen Ihren inneren Schweinehund, gerne würden Sie öfter mal alle fünfe gerade sein lassen, morgens ein Viertelstündchen länger schlafen, die Kinder mit mehr Ruhe in den Kindergarten bringen. Irgendwie schaffen Sie es doch immer, pünktlich bei der Arbeit zu erscheinen , Ihre Kunden und Kollegen nicht im Stich zu lassen. Ist doch klar!

Eines Tages kommt Ihr Chef auf die Idee, ein Prämiensystem einzuführen. Erwünschte Verhaltensweisen bei den Mitarbeitern sollen gefördert werden, sie werden prämiert. Eine Reihe von Faktoren sind aufgeführt, dazu gehören Pünktlichkeit, korrekte Kleidung, Kundenorientierung und einiges mehr. Der Serviceleiter vergibt Punkte, je nach Punktestand gibt es für jedes Kriterium am Ende eines Jahres Bares. So weit, so gut?
Erst mal ist es natürlich gut, extra Geld zu bekommen. Für Pünktlichkeit, das ist easy, Sie gehören ja zu denen, die so gut wie nie zu spät kommen. Also leicht verdientes Geld. Sie rechnen nach und staunen: für ein Jahr Pünktlichkeit sind 85 Punkte als Höchstpunktzahl in dem System vorgesehen. Dafür gibt es 85 € brutto als Jahresprämie. Nun werden Sie aber doch nachdenklich. Sie waren bisher immer pünktlich, nun können Sie für das, was früher selbstverständlich war, 85 € extra verdienen. Brutto. Mehr ist dem Unternehmen die Pünktlichkeit nicht wert?

Andersherum könnten Sie für 85 € auch mal öfter einfach ausschlafen. Oder sich mehr Ruhe für die Kinder bei der morgendlichen Verabschiedungszeremonie leisten. Sie kennen ja nun den Wert der Pünktlichkeit und können frei entscheiden. Das ist eben Marktwirtschaft, alles hat seinen Preis.

Wer glaubt noch ernsthaft, damit etwas zur Motivation oder einen Anreiz zur Pünktlichkeit geschaffen zu haben? Ich wette, dass in einem solchen System die Pünktlichkeit eher schlechter als besser werden wird.

Jede Kultur (auch jede Unternehmenskultur) besteht aus einem System sozialer Regeln, die nach Anreizen und Rückkopplungen organisiert sind. Diese Welt ist sensibel, sie basiert auf ständig zu erneuernden Vertrauens- und Akten der Gegenseitigkeit. Dann gibt es da noch den Markt, für den es das Geld als einziges Äquivalent gibt. Wenn soziale Normen (Kunden und Kollegen können sich auf mich verlassen!) auf Marktnormen (ein Jahr Pünktlichkeit bringt einen Ertrag von 85 €!) treffen, wird es gefährlich. Markt handelt von unmittelbaren Äquivalenten; Kultur ist soziales Kapital, dass sich durch vertrauensvolles Zusammenspiel entwickelt und niemand weiß genau, wie viel wann zurückbezahlt wird. Wo Kultur in geldwerten Vorteil umgemünzt wird, werden Vertrauen und Werte zerstört. Es erhält ja schließlich alles seinen Preis.

Prämien untergraben das Interesse an der Sache selbst! Je mehr ich für gute Arbeit an Extraprämien und Incentives verdiene, um so weniger ist die Qualität der Arbeit ein positiver Wert an sich. Sie erhält ihren Wert erst über das Geld. Das ist zerstörerisch für jede auf Gegenseitigkeit, Miteinander und Vertrauen basierende Kultur (auch Unternehmenskultur).

Wollen Sie die Qualität der Arbeit oder die Pünktlichkeit verbessern, setzt dies konsequenten und konstruktiven Umgang mit leistungsschwächeren Mitarbeitern voraus. Welche Ziele werden erreicht, wo gibt es Spielräume für Verbesserungen? Unmittelbare Rückmeldungen über Leistungen sind notwendig. Wenn Leistungsziele nicht erreicht werden und 1-2 mal im Jahr deswegen der Chef in den „Richter-Modus“ wechselt, dann ist es für alle unangenehm und zu spät. Die Botschaft kommt nicht an, sie verfehlt ihr Ziel. Das Muster „Prämie“ ist ein schlechter Ersatz für das Unvermögen zu vieler „Chefs“, grenzwertigen Leistungen offen entgegenzutreten und außergewöhnliche Leistungen als solche anzuerkennen. Prämien und das Mittelmaß fördernde Leistungsbeurteilungen sind kein Ersatz für klare Ziele und ein Führungssystem, das auf Transparenz und konsequenter Rückmeldung beruht.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: der Verzicht auf Prämiensysteme ist kein Plädoyer für beamtenmäßige, leistungsunabhängige Gehaltsstrukturen. Statt autoritär und manipulativ Belohnungen auszuloben besteht die Möglichkeit, Ergebnisse und Erfolge zu teilen. Wer zum Erfolg eines(r) Unternehmens/Unternehmenseinheit beigetragen hat, wird daran beteiligt. Das öffnet zwar eine schwierige Diskussion über Verteilungsregeln und -mechanismen, aber es wird die Mühe wert sein. Denn es ist ein himmelweiter Unterschied, ob Erfolge partnerschaftlich geteilt werden, oder einseitig Belohnungen festgesetzt werden, die Kultur und Werte in Geld bemessen und sie dadurch nachhaltig zerstören. Einmal gefangen in der Prämienfalle kommen Sie da nur schwer wieder heraus. Denn die Streichung der Pünktlichkeitsprämie wird den Ausgangszustand nicht einfach wiederherstellen. „Wenn Pünktlichkeit nichts mehr wert ist ….. .“

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