Wissen, was ich wirklich, wirklich will …

Emil Zbinden: Arbeiter und Computer, 1978

 

Gute Frage! Was wollen wir denn eigentlich wirklich, ich mein so richtig ganz wirklich? Nicht einfach irgendwie so mal eben schnell. Diese Frage bewegt die New-Work-Debatte seitdem es sie gibt. Die gibt es übrigens schon seit Jahrzehnten, welch Überraschung!

Was ist das eigentlich NEW WORK? Alle reden darüber aber keiner meint das Gleiche! Das Spektrum reicht von sozialromantischen Vorstellungen einer humanen, menschenwürdigen Arbeitswelt über Digitalisierungsphantasien bis hin zu vielen ernst gemeinten und vielfältigen Initiativen, Mitarbeiter unternehmerischer einzubinden. Dazwischen gibt es noch die ungezählten Säue, die mal wieder durch die Dörfer getrieben werden: neue-Kultur-mal-eben-schnell-Versprechen oder „irgendwas x.0-Blasen“, die die heiße Luft in ihrem Inneren nicht wert sind.

New Work ist modern geworden, zu viele reden mit wenig Wissen darüber. Hendrik Epe hat wohl nicht geahnt, was er losgetreten hat, als er die XING-Veranstaltung anläßlich der Verleihung des New-Work-Awards mit ihrer Preispolitik (Eintritt 713 €) in die Nähe von „elitärem Scheiß“ rückte:

„Zum einen entscheiden sich wahrscheinlich nur Firmen zu einer Teilnahme, die auf dem Weg zu einer neuen Arbeitskultur schon recht weit sind (warum sollten sie sonst überhaupt von dem Event Notiz genommen haben, geschweige denn Geld dafür aufbringen). Zum anderen – das betrifft dann vor allem die Berater – trifft man die Menschen aus seiner eigenen Filterblase. Mit denen klopft man sich dann gemeinsam auf die Schulter und feiert bei der After Show Party die enormen Erfolge im Bereich der Neuen Arbeit.

Die Menschen aber, die es eigentlich betreffen sollte, die Menschen also, deren Jobs durch die nächste Automatisierungswelle mal eben vernichtet werden, die Menschen also, die tagein tagaus 40 Wochenstunden ihrer Lebenszeit in Krankenhäusern, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, in Kindergärten und Altenhilfeeinrichtungen verbringen, also die Menschen, die vielleicht wirklich einen Beitrag zur Entwicklung unserer Gesellschaft leisten, bekommen von dem ganzen Tamtam gar nichts mit. …..

Anstatt Verbesserungen in der Art der Zusammenarbeit, in der Wertschätzung ihrer Arbeit, in der Möglichkeit, menschenwürdige Arbeit menschenwürdig leisten zu können, erfahren diese Menschen, dass durch zunehmende Detailregelungen, Prozesssteuerung und Bürokratismus das genaue Gegenteil passiert: Nicht nur die Menschen persönlich, auch die Organisationen steuern – pessimistisch formuliert – voll auf den kollektiven Burnout zu.“

Oder Gunnar Sohn:

„Die New Work-Bewegung betreibt in Deutschland wirkungslose Canapé-Events zur Gewissensberuhigung. Supermarkt-Verkaufspersonal, Personal von Pflegediensten, Betriebsräte, Beschäftigte im Niedriglohnsektor, schlecht bezahlte Clickworker oder Vertreter der rund 1,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die sich mit Arbeitsverträgen auf Abruf herumschlagen müssen, von fiesen Chefs am Arbeitsplatz mit Webcams überwacht und in Echtzeit dirigiert werden, sucht man bei den hochpreisigen Veranstaltungen in cool wirkendem Ambiente vergeblich. Änderungen im Gallup-Zufriedenheitsindex sind auch nicht feststellbar.“

Ich bin selbst nicht auf der XING Veranstaltung gewesen, habe aber im Nachgang das Wichtigste verfolgt. Besonders berührt hat mich der Vortrag von Frithjof Bergmann, dem Begründer der NEW-Work-Bewegung. Zum Sehen und Hören hier als Empfehlung, eine echte Perle, dieser Vortrag:

Ende der 50er Jahre hat er mit Automobilarbeitern in Detroit zusammen gearbeitet, die durch Automatisierung ihrer Arbeitsprozesse von Arbeitsplatzverlust bedroht waren. Auf der Suche nach neuen Beschäftigungsmöglichkeiten suchte er mit ihnen einfühlsam und eindringlich immer eine Antwort auf die Frage: Was willst Du wirklich, wirklich. Das wiederholte wirklich führt eindringlich vor, dass es einfache Antworten nicht gibt. Und dass die schnellen, oberflächlichen Antworten oft falsch sind.

Lassen wir das doch einfach auch für uns gelten. Ich finde es okay, wenn es Veranstaltungen wie diese von XING gibt, die überwiegend von Unternehmen durch ihre Abgesandten finanziert werden. Die „reine“ Lehre gibt es nicht, und das ist auch gut so (Womit ich keineswegs den Kritikern unterstelle, daran zu glauben!!!). Es gibt reichlich zu tun, die Veränderung der Wirtschaft und der Arbeitswelt entfaltet eine Dynamik, der wir mit unseren sich nur langsam verändernden Lebens- und  Arbeitsbildern nicht so schnell folgen können. Jenseits aller Ideologie ist New Work für mich ein Klammerbegriff für die tiefgreifenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft, die wir gerade erleben. Die schließen niemanden ausdrücklich aus, sie betreffen jeden. Gut auch, wenn sich Eliten an dieser Diskussion beteiligen, sie ist kein Privileg bestimmter Gruppen. Wichtig nur: Es gibt keine Rezepte oder Best Practices.

Der Begriff NEW WORK wird immer mehr schillernd und mißverständlich. Dabei brauchen wir Menschen, die sich engagieren und kümmern. Die sich vor allem nicht in internen kleinkarierten Streitereien über das „Wahre und das Flasche“ verstricken oder über die moralische Berechtigung, überhaupt dabei sein zu dürfen. Die aktuellen Probleme kennen keine Grenzen, wir sollten die zweifellos vorhandenen ganz weit in den Hintergrund schieben.

Was ist denn nun richtig? Brauchen wir „humane Arbeit“ um wettbewerbsfähig zu bleiben oder brauchen wir Wettbewerbsfähigkeit, um uns „humane Arbeitsplätze“ überhaupt leisten zu können? Ist die Fußballmannschaft erfolgreich, weil sie ein gutes Team ist oder ist sie ein gutes Team, weil sie erfolgreich ist? Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, da gibt es komplexe Beziehungen. Doch: Arbeit ist immer Arbeit für andere, Wirtschaft und Unternehmen sind kein Selbstzweck. Wir tun daher gut daran, den Zweck von Arbeit nicht in ihr oder uns selbst zu suchen, sondern für sie eine externe Referenz zu finden: sie ist vor allem dazu da, Bedürfnisse anderer zu befriedigen.

Was wollen wir denn  nun wirklich, wirklich? Bergmann beschließt seinen Vortrag mit den eindringlichen Worten: „Vor allem müssen die Menschen gestärkt werden.“ Ich meine wir stärken sie am Besten, wenn wir sie ihre Arbeit tun lassen. Je mehr wir uns um die Wertschöpfung kümmern (statt um Meetings, Zielgespräche und all das Theater), desto mehr stellt sich Arbeitszufriedenheit mit all seinen notwendigen Rahmenbedingungen ein. Das ist paradox! Ja, doch Paradoxa gibt es noch mehr.

Wen es interessiert: Ich bin in Sachen NEW WORK engagiert. Einmal mit ausschließlich regionalem Bezug bei der Werkstatt NextWork in Braunschweig und für den grenzenlosen deutschsprachigen Raum bei intrinsify.me.

 

 

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