Unsicherheit als Chance

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Car. Bovillus ‘Liber de Sapiente‘ (Paris/Amiens, 1510/1512); Fortuna und Sapientia, Holzschnitt

Sicherheit macht süchtig. Es ist wunderbar recht zu haben, getroffene Vorhersagen eintreten zu sehen. Der Glaube an die Macht der Anhäufung von Wissen beherrscht Unternehmen und Öffentlichkeit. Können überlegene Technologien wirklich alles? Reicht es, nur genug Algorithmen auf ganz viel Big Data wirken lassen um herauszufinden, was in der Welt geschehen wird? Ich jedenfalls bin davon nicht überzeugt.

Das Weltbild des 16 Jahrhunderts sehen wir auf diesem Holzschnitt. Die launische, blinde Fortuna spielt mit dem Lebensrad, verzweifelte Menschen versuchen es zu erklimmen. Die berechnende Sapientia blickt eitel und selbstbewundernd in den Spiegel. Links das launische Spiel von Glück und Unglück, rechts die Gewissheit überlegenen Wissens. Die Aufklärung hat den Irrglauben an die Schicksalhaftigkeit des Lebens um unser Wissen über die Kausalität von Ursache und Wirkung erweitert. Die Überzeugung von der Allmächtigkeit des Wissens, dem klaren Verhältniss zwischen Ursache und Wirkung hat sich bis zum Paradigma der heutigen Management-Theorie entwickelt. Was wir nicht so gerne wahrhaben: der Zufall hat im Gegenzug den Glauben an die Allmacht des Wissens unterwandert und es seine Gewissheit verlieren lassen. Fragen Sie mal nach dem Unterschied zwischen Risiko und Ungewissheit. Wirkliches Leben heißt: Die Statistik zeigt Überlegenheit in allen Zweikämpfen. Trotzdem gehen Spiele verloren. Risiko ist berechenbar, Ungewissheit eine große Unbekannte. Risikomanagement gehört zum Management-Werkzeugkasten, weil es sich so schön berechnen lässt. Wer hat schon mal von „Ungewissheitsmanagement“ gehört? Was spielt eine wichtigere Rolle?

Management-Ratgeber folgen (fast) alle folgendem Muster: Man nehme ein paar Unternehmen, die irgendetwas haben, was wir lieben oder fürchten müssen. Die Statistik wird sicher einige identifizierbare gemeinsame Aspekte bei den betrachteten Vorbildern identifizieren, die dann zu Rezeptbüchern destilliert werden. So wissen wir, was zu tun ist und können zufrieden Prognosen abgeben. Was übersehen wird: Die Gesetze von Ursache und Wirkung gelten nur in den engen Grenzen von Ordnungssystemen. Korrelationen beschreiben einen Zusammenhang, nicht Ursache und Wirkung. Es gibt ihn, den Zusammenhang zwischen gewonnenen Zweikämpfen und gewonnenen Spielen. Aber wenn die anderen die wenigen, aber entscheidenden gewinnen, reicht das zum Gewinn. Wunder gibt es immer wieder; dabei müssen es nicht mal Wunder sein.

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Wer immer mit Change Management, Coaching oder Beratung zu tun hat sollte sich merken: Wann immer eine Aktivität A zu einer Veränderung Y führt, dann ist die Schlussfolgerung A bewirkt Y falsch. Okay, vielleicht nicht. Vielleicht wäre Y aber auch ganz ohne A eingetreten. Oder es wäre alles ohne A noch großartiger geworden. Wir können es nicht wissen, ohne die Zeit zurück zu drehen und es mit verändertem Versuchsaufbau noch einmal zu probieren. Erfolgsgeschichten haben anekdotische Bedeutung, als Rezeptbücher dargeboten haben sie den Charakter von Pseudo-Wissenschaft. Gute Beobachtung, ausprobieren, schnell reagieren, vielseitige Erfahrungen, ein paar gute Faustformeln selbstkritisch eingesetzt sind in komplexen Umfeldern die besten Handlungsstrategien.

Wer es zugibt ist ehrlich. Derjenige wird wahrscheinlich erfolgreicher sein, weil er mehr Optionen probiert und lernt. Allerdings wird er dem Aufsichtsrat erklären müssen, weshalb er nicht nach Rezeptbuch vorgegangen ist.

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