Es war einmal eine Arbeitsstelle ….

 

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Ausschnitt aus dem Fensterportal des alten Gelsenkirchener Bahnhofs

 

Wie Pilze schießen sie aus dem Boden, die Initiativen zur Digitalisierung, der Industrie 4.0, der Arbeit 4.0. Ich kann diese Buzzwords bald nicht mehr hören. Nicht, dass sie unbedeutend wären, im Gegenteil. Sie werden in den nächsten Jahren Leben, Arbeit und Gesellschaft mit wachsender Dynamik prägen. Was mich stört ist die Mode plötzlich alles mit „Punkt Irgendwas“ versehen zu müssen, selbst wenn die Zahlenspielerei weder Historie noch erkennbare Abgrenzung oder Sinn erkennen lässt. Oder hast Du schon mal was von Arbeit 3.0 gehört und was bitte ist der Unterschied zu 2.0? Was haben wir da bloß verpasst?

Mich stört viel mehr, dass so gut wie immer der eigentliche Kern der Debatte verkannt wird: nämlich die Frage, wie Arbeit in Zukunft aussieht, welche gesellschaftlichen Konsequenzen sich für die Kommerzialisierung, die Stellung der Arbeit in Leben und Gesellschaft ergeben werden. Darüber haben wir nicht wirklich begonnen nachzudenken, mal abgesehen von einigen Randnotizen, wie sie etwa im Zusammenhang mit der Volksabstimmung in der Schweiz über das bedingungslose Grundeinkommen zu hören und zu lesen waren.

Neu ist die Debatte über Arbeit als Grundlage für Einkommen und Wohlstand in unserer Gesellschaft freilich nicht. In der Antike wäre das, was wir heute als Erwerbsarbeit bezeichnen so ziemlich das Allerletzte gewesen. Man unterscheid Arbeit und Tätigkeit, das eine war der existenz- und überlebenssichernde Pflichtteil, das andere wurde gern und freiwillig getan, auch wenn es besondere Anstrengungen forderte. Der Apostel Paulus (Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen) und der Benediktinerorden („Ora et labora“) wurden im Mittelalter von der dem Müßiggang fröhnenden Feudalschicht überhaupt nicht erhört, die Leibeigenen hatten in der Agrargesellschaft nach sehr anstrengenden Arbeitsphasen nach der Erntezeit längere Ruhezeiten. Das wurde erst mit der Industrialisierung Mitte des 19 Jahrhunderts schlagartig anders, wo Wochenarbeitszeiten über 80 Stunden an der Tagesordnung waren. Erst die Weimarer Republik beschränkte Arbeitszeiten auf 48 Stunden, in den 60er Jahren kam dann die 40 Stunden Woche und der arbeitsfreie Samstag für die meisten Beschäftigten.

Damit ist die Geschichte natürlich nicht zu Ende. Inzwischen hat die Zahl der Dienstleistungsanbieter die Erwerbsarbeitenden übertroffen. Die Produktion spielt heute was die Zahl der Beschäftigten angeht eine ähnlich große Rolle wie die Landwirtschaft vor 50 Jahren. Nicht mal ein Drittel der Beschäftigen stellt noch etwas Gegenständliches her. Allen Epochen gemeinsam ist, dass das Bewusstsein über das Sein den Veränderungen weit hinterherläuft. Schaffen, schuften, rackern, Erfolg durch Fleiß, so ist immer noch der Mythos von Arbeit, obwohl er heute nur noch für die wenigsten zutrifft.

Heute reden wir von Wissens- oder besser noch Kreativarbeit. Die ersetzt körperliche oder Routinearbeit durch intelligente Systeme und automatisierte Prozesse. Neue Arbeitsformen vernichten unsere klassischen Arbeitsformen, gleichzeitig halten sie die Wertvorstellungen der alten Arbeitsgesellschaft aufrecht. Die alte Plackerei wird durch Technik und Automation beendet, andere müssen dafür hart arbeiten, halten dabei die alten Wertvorstellungen von Arbeit aufrecht und suchen nach dem Sinn ihres Tuns. Wir brauchen die Diskussion über einen Systemwechsel unserer Lebens- und Arbeitsbilder.

Das Wirtschaftssystem verändert sich täglich, unsere guten alten volkswirtschaftlichen Grundsätze verlieren weiter ihren Geltungsrahmen. Unsere Sozialsysteme haben einen gewaltigen Rückstand, die Politik kommt dem Veränderungsbedarf nicht nach. Die demographische Entwicklung gießt weiteres Öl auf das Feuer, man muss kein Experte sein um abzusehen, dass unser heute bekanntes System sich langfristig nicht finanzieren lassen wird, dass wir keine Reform der Reform brauchen sondern tiefgreifende strukturelle Veränderung.

Die Zentralisierung von Arbeit Sinn machte im Industriezeitalter Sinn. Gilt das im Zeitalter des Internets und der Möglichkeit ubiquitären Arbeitens noch immer? Ich habe da Zweifel. Viele Startups bauen heute auf Flexibilität als wichtigster unternehmerischer Fähigkeit. Welche Bedürfnisse haben Mitarbeiter heute und in Zukunft? Zeiteinteilung, Arbeitsort, Arbeitstempo selbst bestimmen? Das geht heute oder wird durch die Art der Tätigkeit sogar erzwungen: Kreativarbeit geht nicht nach Business- oder Zeitplan.

Für einen bedeutsamen Teil der Erwerbsbevölkerung reicht klassische Erwerbsarbeit heute nicht mehr aus, um einen befriedigenden Lebensstandard zu sichern. Das Argument von Arbeit als alleinigem Sinnstifter unserer Existenz gilt unter Philosophen heute als „Herrschaftsinstrument“ (Dahrendorf): „Wenn die Arbeit ausgeht, verlieren die Herren der Arbeitsgesellschaft das Fundament ihrer Macht.“

Ich möchte an dieser Stelle nicht in den Fehler verfallen, Lösungen als Allheilmittel für unseren Aufgabenberg zu präsentieren. Ich gebe es offen zu: ich weiß auch nicht, ob das bedingungslose Grundeinkommen oder irgendein anderes Modell das Richtige sein wird. Viel zu früh für Lösungsdebatten. Aber höchste Zeit für den Beginn einer offenen Diskussion über die Zukunft, die nicht zu stark von den vergänglichen Lebens- und Arbeitsbildern des ausgegangenen Industriezeitalters geprägt ist. Veränderungen entstehen zuallererst dadurch, dass jemand etwas macht. Wer macht hat Macht.

Bleibt an dieser Stelle auf unser Netzwerk Nextwork und unsere Unkonferenz am 12.11. hinzuweisen. Die Veranstaltung passt zu dem oben beschriebenen: Wir brauchen Kopf und Seele von Menschen, die etwas verändern wollen und die möglichst ohne Ballast debattieren, was wir zusammen an zukunftsweisenden Experimenten beginnen müssen.

 

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Diesen Artikel habe ich zeitgleich auch auf der Webseite des Netzwerkes NextWork veröffentlicht.

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